Es
ist eine alte Geschichte – der jugendliche Sohn begehrt auf gegen
seine Eltern und macht etwas sehr Rebellisches. Dies sieht dann meist
so aus, dass er sich eine Tätowierung zulegt, sich einem
zwielichtigen Freundeskreis anschließt oder gar Drogen nimmt. Damals
im dreizehnten Jahrhundert, konnte es sein, dass der rebellische Sohn
ein Franziskanermönch wurde...
Bild: "Franziskaner" - José Benlliure y Gil (1855–1937)
Als
Franz von Assisi im frühen dreizehnten Jahrhundert eine Vision hatte
und ein tiefes religiöses Erwachen folgte, waren seine Familie und
Freunde verblüfft von seinem Verhalten, dem Verzicht auf alle
weltlichen Güter und einem Leben als Bettler. Trotz vielfacher
Versuche ihn aufzuhalten, war es ihm möglich Anhänger um sich zu
sammeln und im Jahre 1209 zum Papst in Rom zu gehen, welcher seine
Bewegung offiziell anerkannte. Die Beliebtheit der Franziskaner stieg
stetig und zum Zeitpunkt des Todes von Franz von Assisi, im Jahre
1226, hatte er Tausende Anhänger.
Unter
denen, auf welche die Predigten der Franziskaner einen großen
Einfluss ausübten, war ein junger Bursche namens Ognibene de Adam.
Dessen älterer Bruder, ein verheirateter Familienvater und Richter
zu der Zeit, war bereits den Franziskanern beigetreten.
In
einer Chronik aus dem Jahre 1280, über vier Jahrzehnte später,
schrieb er über diese Vorgänge:
Als
ich eine Dekade und eine halbe meines Lebens hinter mir hatte,
erreichte ich einen Scheidepunkt in meinem Leben, das sprichwörtliche
pythagoräische Y, und ich trat ein in den Orden der Minderen Brüder.
Das
war im Jahre 1238, als er etwas über 16 Jahre alt war. Später gab
ihm ein älterer Bruder einen neuen Ordensnamen – Salimbene. Mit
diesem Namen ist er heute bekannt, obwohl er eigentlich lieber
Dionysius genannt worden wäre.
Dieses
religiöse Erwachen stieß allerdings auf Ablehnung bei seinem Vater
Guido de Adam, einem der führenden Männer der italienischen Stadt
Parma. Dieser war in jungen Jahren zwar selbst auf einen Kreuzzug ins
Heilige Land gegangen, war allerdings nicht bereit, noch einen Sohn
an die Franziskaner abzutreten und somit auf seinen letzten
überlebenden Erben zu verzichten, damit dieser der Familie
abschwört, um ein Leben als armer Bettler zu führen.
Guido
de Adam war es möglich sein Anliegen bei Kaiser Friedrich II.
vorzutragen, als dieser nach Parma kam. Der Kaiser ließ ein
Schriftstück aufsetzen, an den Generalminister der Franziskaner,
welcher antwortete, dass es Salimbene jederzeit möglich ist, zu
seiner Familie zurückzukehren, wenn dieser es möchte und die
Franziskaner ihn dabei nicht aufhalten würden.
Zu
dieser Zeit hielt sich Salimbene in einem Konvent in der Küstenstadt
Faro auf. In seiner Chronik steht dazu geschrieben:
Mein
Vater kam zum Konvent in Faro, begleitet von einer großen Zahl an
Rittern, die neugierig waren zu sehen, welches Ende die Angelegenheit
nehmen würde. Für sie war das ganze nur ein Schauspiel, für mich
ging es um nicht weniger, als die Grundlage für mein Seelenheil.
Alle Brüber und Laien versammelten sich und nachdem viele Worte
gewechselt wurden, zog mein Vater den Brief des Generalministers
heraus und zeigte ihn den Brüdern.
Die
Franziskaner waren sich einig, dass wenn Salimbene zu seinem Vater
zurückkehren möchte, sie ihn nicht aufhalten werden, wenn er aber
bei ihnen bleiben möchte, werden sie zu ihm stehen. So fragte Guido
de Adam seinen Sohn und dieser schildert uns seine Antwort so:
„Nein!
Denn der Herr spricht in Lukas 9 'Kein Mann, der zu ackern beginnt
und zurücksieht, ist geschickt in das Reich Gottes.'“
Mein
Vater sagte daraufhin zu mir: „Und dich interessieren nicht dein
Vater und deine Mutter, die so viel erlitten haben, wegen dir?“
Worauf ich antwortete: „Wahrlich, es interessiert mich recht wenig.
Der Herr sagt in Matthäus 10 'Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn
mich, ist mein nicht wert' Und er sagt Euch betreffend 'Wer Sohn oder
Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.' Ihr solltet
bedenken, Vater, dies ist derjenige der am Kreuze starb, uns das
ewige Leben zu schenken. Dieser selbst sagt in Matthäus 10 'Denn ich
bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die
Tochter wider die Mutter und die Schwiegertochter mit der
Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen
Hausgenossen sein. Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich
bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer aber mich verleugnet vor
den Menschen, den will ich verleugnen vor meinem himmlischen Vater.'“
Die
Brüder waren erstaunt und erfreut, dass ich so mit meinem Vater
sprach. Mein Vater sagte zu den Brüdern: „Ihr habt meinen Sohn
verhext und verführt, damit er mir nicht mehr gehorchen soll. Ich
sollte deswegen nocheinmal beim Kaiser und beim Generalminister
vorsprechen. Doch stimmt zunächst einer privaten Unterredung zu,
dann werdet ihr sehen, dass er mir folgen wird.“
Ermuntert
durch meine Worte, hatten die Brüder nichts gegen eine private
Unterredung mit meinem Vater. Doch lauschten sie hinter der Tür
gebannt jedem Wort. Sie zitterten, wie Schilf im Wasser, davor, dass
mein Vater seine Überzeugungskraft nutzen könnte, mich umzustimmen.
Nicht allein um mein Seelenheil fürchteten sie, sondern auch, dass
mein Entschluss zur Abreise andere hindern könnte dem Orden
beizutreten.
Mein
Vater sagte zu mir: „Geliebter Sohn, glaube doch nicht diesen
Pisskutten!“ - also Leuten die in ihre Gwänder urinieren - „Sie
haben dich betrogen. Komm mit mir und ich werde dir alles geben, was
ich besitze.“
Ich
antwortete und sagte zu meinem Vater: „Lasst sein, Vater! Wie heißt
es in Sprüche 3: 'Weigere dich nicht Gutes zu tun, dem Dürftigen,
wenn es in deiner Hand liegt, dieses zu tun.'“
Mein
Vater antwortete darauf unter Tränen: „Mein Sohn, was soll ich zu
deiner Mutter sagen, die unendlich deinetwegen zu leiden hat?“
Darauf
antwortete ich ihm: „Richtet ihr von mir aus: 'So spricht dein
Sohn: 'Ich habe Vater und Mutter hinter mir gelassen, aber der Herr
hat mich aufgenommen.' Und er sagt, wie in Jeremia 3: 'Du wirst mich
alsdann 'Lieber Vater' nennen und nicht von mir weichen.' Wie ''das
Joch von Jugend an tragen heißt, dem Herrn früh gehorchen zu
lernen.'“
Nach
all diesen Worten und verzweifelten Versuchen, mich vom Verlassen des
Ordens zu überzeugen, warf sich mein Vater auf den Boden, in
Gegenwart der Brüder und Laien, mit denen er gekommen war, und
sagte: „Verfluchter Sohn, ich wünsche dir tausend Teufel mögen
über dich kommen, zusammen mit deinem Bruder, der auch Mönch
geworden ist, euch gegenseitig stützend in eurer Verblendung! Mein
ewiger Fluch soll über dich kommen und dich den höllischen Dämonen
überantworten!“ So reiste er ab und war über die Maßen
verärgert.
Nach
einer solchen Konfrontation musste Salimbene sich gefragt haben, ob
seine Entscheidung die richtige war. Über einen Traum, in der darauf
folgenden Nacht, schrieb er:
Schon
in der nächsten Nacht tat die geheiligte Jungfrau Gutes zu mir. Es
schien mir, als ich im Gebet vor dem Altar lag (wie es Brüder zum
Nachtoffizium zu tun pflegen), dass ich die Stimme der Heiligen
Jungfrau hörte, wie sie zu mir sprach. Ich hob meinen Kopf und sah
die Heilige Jungfrau auf dem Altar, an der Stelle, wo Hostie und
Kelch aufbewahrt werden. Sie hatte ihren kleinen Sohn auf dem Schoß
und hob ihn zu mir, während sie sagte: 'Komm zu mir und küsse
meinen Sohn, zu welchem du gestanden hast vor den Menschen am
gestrigen Tage!' Als ich zögerte in Angst, sah ich wie das Kind
seine Arme breitete und mich ungedulig erwartete. So gewann ich
Vertrauen, durch die Fröhlichkeit und Unschuld des Kindes, wie durch
die Großherzigkeit der Mutter. Ich ging zu ihm, umarmte ihn und
küßte ihn. Die Mutter, in ihrer Güte, ließ mich ihn lange halten.
Als ich kaum genug von ihm bekommen konnte, segnete mich die Heilige
Jungfrau und sagte: 'Geh, geh leise, geliebter Sohn, damit nicht die
Brüder, die zum Nachtoffizium sich hierherbegeben, dich finden hier
mit uns!' Ich tat, wie mir geheißen wurde und die Vision verschwand.
Aber in meinem Herzen verblieb eine solch große Anmut, dass ich es
gar nicht beschreiben kann. Ich muss wahrlich eingestehen, dass ich
niemals in der Welt ein solches Gefühl erlebt habe. Ich verstand die
Wahrheit, die den Worten innewohnt: 'Alle fleischlichen Dinge sind
fade, wenn jemand einmal die geistigen genossen hat.'
Salimbene
verließ das Konvent in Faro, denn er befürchtete, dass sein Vater
Piraten anheuern könnte, um ihn zu entführen. Er bereiste
verschiedene Städte in Italien und besuchte auch Paris. Die Chronik,
die er uns hinterließ, eröffnet uns einen faszinierenden Blick auf
seine eigene Person, das Leben als Franziskaner und die Politik im
Italien des dreizehnten Jahrhunderts.
Literatur
Baird,
J.L. (ed.) / Baglivi, G. / Kane, J.R.: The Chronicle of Salimbene de
Adam, New York 1986
Wiliams
Lewin, A.: Salimbene de Adam and the Franciscan Chronicle. In: Dale,
S. (ed.) / Wiliams Lewin, A. / Osheim, D.J.: Chronicling History:
Chroniclers and Historians in Medieval and Renaissance Italy,
University Park, PA 2007
Milne,
A.: Sacerdos et Predicator: Franciscan 'Experience' and the Cronicaof Salimbene de Adam. (Thesis), University of Canterbury 2010
Nach
einem englischen Original auf Medievalists.net.
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