Sonntag, 12. April 2015

Jugendliche Rebellion im Mittelalter – Die Geschichte des Salimbene de Adam


Es ist eine alte Geschichte – der jugendliche Sohn begehrt auf gegen seine Eltern und macht etwas sehr Rebellisches. Dies sieht dann meist so aus, dass er sich eine Tätowierung zulegt, sich einem zwielichtigen Freundeskreis anschließt oder gar Drogen nimmt. Damals im dreizehnten Jahrhundert, konnte es sein, dass der rebellische Sohn ein Franziskanermönch wurde...

Bild: "Franziskaner" - José Benlliure y Gil (1855–1937)

 
Als Franz von Assisi im frühen dreizehnten Jahrhundert eine Vision hatte und ein tiefes religiöses Erwachen folgte, waren seine Familie und Freunde verblüfft von seinem Verhalten, dem Verzicht auf alle weltlichen Güter und einem Leben als Bettler. Trotz vielfacher Versuche ihn aufzuhalten, war es ihm möglich Anhänger um sich zu sammeln und im Jahre 1209 zum Papst in Rom zu gehen, welcher seine Bewegung offiziell anerkannte. Die Beliebtheit der Franziskaner stieg stetig und zum Zeitpunkt des Todes von Franz von Assisi, im Jahre 1226, hatte er Tausende Anhänger.

Unter denen, auf welche die Predigten der Franziskaner einen großen Einfluss ausübten, war ein junger Bursche namens Ognibene de Adam. Dessen älterer Bruder, ein verheirateter Familienvater und Richter zu der Zeit, war bereits den Franziskanern beigetreten.

In einer Chronik aus dem Jahre 1280, über vier Jahrzehnte später, schrieb er über diese Vorgänge:

Als ich eine Dekade und eine halbe meines Lebens hinter mir hatte, erreichte ich einen Scheidepunkt in meinem Leben, das sprichwörtliche pythagoräische Y, und ich trat ein in den Orden der Minderen Brüder.

Das war im Jahre 1238, als er etwas über 16 Jahre alt war. Später gab ihm ein älterer Bruder einen neuen Ordensnamen – Salimbene. Mit diesem Namen ist er heute bekannt, obwohl er eigentlich lieber Dionysius genannt worden wäre.

Dieses religiöse Erwachen stieß allerdings auf Ablehnung bei seinem Vater Guido de Adam, einem der führenden Männer der italienischen Stadt Parma. Dieser war in jungen Jahren zwar selbst auf einen Kreuzzug ins Heilige Land gegangen, war allerdings nicht bereit, noch einen Sohn an die Franziskaner abzutreten und somit auf seinen letzten überlebenden Erben zu verzichten, damit dieser der Familie abschwört, um ein Leben als armer Bettler zu führen.

Guido de Adam war es möglich sein Anliegen bei Kaiser Friedrich II. vorzutragen, als dieser nach Parma kam. Der Kaiser ließ ein Schriftstück aufsetzen, an den Generalminister der Franziskaner, welcher antwortete, dass es Salimbene jederzeit möglich ist, zu seiner Familie zurückzukehren, wenn dieser es möchte und die Franziskaner ihn dabei nicht aufhalten würden.

Zu dieser Zeit hielt sich Salimbene in einem Konvent in der Küstenstadt Faro auf. In seiner Chronik steht dazu geschrieben:

Mein Vater kam zum Konvent in Faro, begleitet von einer großen Zahl an Rittern, die neugierig waren zu sehen, welches Ende die Angelegenheit nehmen würde. Für sie war das ganze nur ein Schauspiel, für mich ging es um nicht weniger, als die Grundlage für mein Seelenheil. Alle Brüber und Laien versammelten sich und nachdem viele Worte gewechselt wurden, zog mein Vater den Brief des Generalministers heraus und zeigte ihn den Brüdern.

Die Franziskaner waren sich einig, dass wenn Salimbene zu seinem Vater zurückkehren möchte, sie ihn nicht aufhalten werden, wenn er aber bei ihnen bleiben möchte, werden sie zu ihm stehen. So fragte Guido de Adam seinen Sohn und dieser schildert uns seine Antwort so:

Nein! Denn der Herr spricht in Lukas 9 'Kein Mann, der zu ackern beginnt und zurücksieht, ist geschickt in das Reich Gottes.'“

Mein Vater sagte daraufhin zu mir: „Und dich interessieren nicht dein Vater und deine Mutter, die so viel erlitten haben, wegen dir?“ Worauf ich antwortete: „Wahrlich, es interessiert mich recht wenig. Der Herr sagt in Matthäus 10 'Wer Vater oder Mutter mehr liebet denn mich, ist mein nicht wert' Und er sagt Euch betreffend 'Wer Sohn oder Tochter mehr liebt denn mich, der ist mein nicht wert.' Ihr solltet bedenken, Vater, dies ist derjenige der am Kreuze starb, uns das ewige Leben zu schenken. Dieser selbst sagt in Matthäus 10 'Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter wider die Mutter und die Schwiegertochter mit der Schwiegermutter. Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer aber mich verleugnet vor den Menschen, den will ich verleugnen vor meinem himmlischen Vater.'“

Die Brüder waren erstaunt und erfreut, dass ich so mit meinem Vater sprach. Mein Vater sagte zu den Brüdern: „Ihr habt meinen Sohn verhext und verführt, damit er mir nicht mehr gehorchen soll. Ich sollte deswegen nocheinmal beim Kaiser und beim Generalminister vorsprechen. Doch stimmt zunächst einer privaten Unterredung zu, dann werdet ihr sehen, dass er mir folgen wird.“

Ermuntert durch meine Worte, hatten die Brüder nichts gegen eine private Unterredung mit meinem Vater. Doch lauschten sie hinter der Tür gebannt jedem Wort. Sie zitterten, wie Schilf im Wasser, davor, dass mein Vater seine Überzeugungskraft nutzen könnte, mich umzustimmen. Nicht allein um mein Seelenheil fürchteten sie, sondern auch, dass mein Entschluss zur Abreise andere hindern könnte dem Orden beizutreten.

Mein Vater sagte zu mir: „Geliebter Sohn, glaube doch nicht diesen Pisskutten!“ - also Leuten die in ihre Gwänder urinieren - „Sie haben dich betrogen. Komm mit mir und ich werde dir alles geben, was ich besitze.“

Ich antwortete und sagte zu meinem Vater: „Lasst sein, Vater! Wie heißt es in Sprüche 3: 'Weigere dich nicht Gutes zu tun, dem Dürftigen, wenn es in deiner Hand liegt, dieses zu tun.'“

Mein Vater antwortete darauf unter Tränen: „Mein Sohn, was soll ich zu deiner Mutter sagen, die unendlich deinetwegen zu leiden hat?“

Darauf antwortete ich ihm: „Richtet ihr von mir aus: 'So spricht dein Sohn: 'Ich habe Vater und Mutter hinter mir gelassen, aber der Herr hat mich aufgenommen.' Und er sagt, wie in Jeremia 3: 'Du wirst mich alsdann 'Lieber Vater' nennen und nicht von mir weichen.' Wie ''das Joch von Jugend an tragen heißt, dem Herrn früh gehorchen zu lernen.'“

Nach all diesen Worten und verzweifelten Versuchen, mich vom Verlassen des Ordens zu überzeugen, warf sich mein Vater auf den Boden, in Gegenwart der Brüder und Laien, mit denen er gekommen war, und sagte: „Verfluchter Sohn, ich wünsche dir tausend Teufel mögen über dich kommen, zusammen mit deinem Bruder, der auch Mönch geworden ist, euch gegenseitig stützend in eurer Verblendung! Mein ewiger Fluch soll über dich kommen und dich den höllischen Dämonen überantworten!“ So reiste er ab und war über die Maßen verärgert.

Nach einer solchen Konfrontation musste Salimbene sich gefragt haben, ob seine Entscheidung die richtige war. Über einen Traum, in der darauf folgenden Nacht, schrieb er:

Schon in der nächsten Nacht tat die geheiligte Jungfrau Gutes zu mir. Es schien mir, als ich im Gebet vor dem Altar lag (wie es Brüder zum Nachtoffizium zu tun pflegen), dass ich die Stimme der Heiligen Jungfrau hörte, wie sie zu mir sprach. Ich hob meinen Kopf und sah die Heilige Jungfrau auf dem Altar, an der Stelle, wo Hostie und Kelch aufbewahrt werden. Sie hatte ihren kleinen Sohn auf dem Schoß und hob ihn zu mir, während sie sagte: 'Komm zu mir und küsse meinen Sohn, zu welchem du gestanden hast vor den Menschen am gestrigen Tage!' Als ich zögerte in Angst, sah ich wie das Kind seine Arme breitete und mich ungedulig erwartete. So gewann ich Vertrauen, durch die Fröhlichkeit und Unschuld des Kindes, wie durch die Großherzigkeit der Mutter. Ich ging zu ihm, umarmte ihn und küßte ihn. Die Mutter, in ihrer Güte, ließ mich ihn lange halten. Als ich kaum genug von ihm bekommen konnte, segnete mich die Heilige Jungfrau und sagte: 'Geh, geh leise, geliebter Sohn, damit nicht die Brüder, die zum Nachtoffizium sich hierherbegeben, dich finden hier mit uns!' Ich tat, wie mir geheißen wurde und die Vision verschwand. Aber in meinem Herzen verblieb eine solch große Anmut, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Ich muss wahrlich eingestehen, dass ich niemals in der Welt ein solches Gefühl erlebt habe. Ich verstand die Wahrheit, die den Worten innewohnt: 'Alle fleischlichen Dinge sind fade, wenn jemand einmal die geistigen genossen hat.'

Salimbene verließ das Konvent in Faro, denn er befürchtete, dass sein Vater Piraten anheuern könnte, um ihn zu entführen. Er bereiste verschiedene Städte in Italien und besuchte auch Paris. Die Chronik, die er uns hinterließ, eröffnet uns einen faszinierenden Blick auf seine eigene Person, das Leben als Franziskaner und die Politik im Italien des dreizehnten Jahrhunderts.

 
Literatur

Baird, J.L. (ed.) / Baglivi, G. / Kane, J.R.: The Chronicle of Salimbene de Adam, New York 1986

Wiliams Lewin, A.: Salimbene de Adam and the Franciscan Chronicle. In: Dale, S. (ed.) / Wiliams Lewin, A. / Osheim, D.J.: Chronicling History: Chroniclers and Historians in Medieval and Renaissance Italy, University Park, PA 2007



Nach einem englischen Original auf Medievalists.net.

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